Die Legende lebt, und wie!

Für alle Freunde des klassischen Moto Cross hat  Clemens Anderlitschka einen sehr lesenswerten Reise- und Veranstaltungsbericht mit historischem Rückblick zu den legendären Moto Cross Veranstaltungen an der Zitadelle von Namur und zum Legend MX 2022 gefertigt. Es lohnt sich seinen Beitrag in Ruhe zu genießen! 

NAMUR – der Name hat immer noch Klang in Motocross-Kreisen, wenn auch die Rennen um die dortige Zitadelle längst nur noch zu den MX-Legenden zählen. Seit 2007 finden auf dem wallonischen Kurs keine Grand Prix mehr statt, nachdem zunehmend Umweltauflagen dem Rennbetrieb die Grundlage entzogen. Seit 1947 wurden auf dem extrem schwierigen, 2,8km langen Rundkurs im Wald um und auf der Zitadelle von Namur Motocross-Rennen veranstaltet, darunter zahllose Grand-Prix von Belgien und auch mehrmals das Motocross der Nationen.

Aus Anlass des 75jährigen Streckenjubiläums veranstaltete die Stadt Namur und der belgische Motorsportverband eine einmalige Ehrung von ehemaligen Namur-Siegern sowie die Einweihung von Stelen, die auf die Rennsiege der Piloten und die Geschichte der Rennstrecke zurückblicken. Unter den anwesenden siegreichen Piloten waren unter anderem der Namur-Rekordsieger Roger de Coster, sowie Jacky Martens, Joel Smets u.v.a. Seit 2007 gab es zahlreiche Initiativen und Aufrufe in sozialen Medien, den Rennzirkus zurück an die historische Stätte zu bringen. Nur ein einziger hat seitdem eine Rückkehr an die Zitadelle auf die Beine gestellt, wenn auch nur in ganz kleinem Rahmen auf dem Gelände des ehemaligen Start- und Zielbereichs. Thierry Materne und sein Team riefen 2013 das Namur Legend Motocross ins Leben und mittlerweile ging die Veranstaltung am 30. und 31. Juli 2022 in seine vierte Runde. 2016 zog die Veranstaltung schon auf das jetzige Gelände in Erpent, ca. 3 km südlich der alten Strecke, um. Jedes Jahr wurde die Veranstaltung erfolgreicher und zog weitere Kreise. Auch das Team Deutschland, 2018 auf Platz 2 der Nationenwertung hinter Belgien, konnte die geplante Revanche 2020 kaum erwarten. Neben der Corona-Pandemie führten auch Genehmigungsprobleme zu einer Verschiebung, die schließlich bis in das Jahr 2022 führte. So gingen für den Großteil des Klassik MX Freunde Team Deutschland am letzten Wochenende im Juli vier lange Jahre des Wartens zu Ende, aber auch die Newcomer im Team hatten bereits zwei Jahre warten hinter sich. Der von Lefty Faber organisierte Teamauftritt nahm so auch große Ausmaße an, gut 20 Fahrer und insgesamt über 40 Personen im Team gaben schon eine imposante Kulisse ab. Der Reiseleiter – unser Lefty – hat nicht nur alle Fäden zusammengehalten und die gesamte Abstimmung mit Thierry und seiner Truppe übernommen, sondern auch dafür gesorgt, dass wir in fast jeder Klasse siegfähige Fahrer am Startgatter hatten.

Aber zurück zum Anfang. Bevor die Reise nach Belgien losging waren schon Fahrertrikots abzustimmen und zu bestellen, mit individueller Rückengestaltung für jeden Fahrer. T-Shirts für alle im Team wurden entworfen und organisiert und auch Sponsoren für den ganzen Aufwand wurden gewonnen. Für Lefty und Gerhard Weidner, der sich um die Klamottenproduktion kümmerte, muss das so etwas wie Flöhe hüten gewesen sein, bevor es überhaupt losging. Für alle anderen in der Gruppe war das immer wieder mal eine schöne Terminerinnerung an das bevorstehende Ereignis. Irgendwann ging es dann doch los Richtung Belgien und ein Tross aus allen Winkeln Deutschlands setze sich nach Namur in Bewegung. Auch hier hatte Lefty schon früh am Freitag dafür gesorgt, dass wir einen prominenten Platz im Fahrerlager einnehmen konnten, gekennzeichnet durch mehrere Landesflaggen und eine imposante Reihe von Rennpavillons, die schließlich alle unseren Rennmotorrädern in Reih und Glied aufnahmen. Noch mehr als in Deutschland zogen viele Besucher durch das gesamte Fahrerlager und bestaunten und fotografierten die Fahrzeuge und stellten Fragen zu den einzelnen Fahrzeugtypen. Das Interesse bei Alt und Jung war dabei gleichermaßen groß. Am Freitagabend konnten alle im Team ohne Stress schon das ein oder andere belgische oder mitgebrachte Bier probieren, da am Samstag noch kein frühes Programm anstand. Auch der Veranstalter kam einem im wahrsten Sinne des Wortes entgegen und brachte die Piloten- und Gäste-Bändchen im Fahrerlager vorbei. Der Samstag stand dann ganz im Zeichen des Jubiläums auf der Zitadelle. Die MX-Piloten durften – eskortiert durch die Polizei – mit den Rennmotorrädern an einem Korso durch die Stadt teilnehmen, in den unterwegs Cabrios mit den anwesenden Namur-Siegern eingereiht wurden, um dann eine herrliche Kulisse für die Ehrung und Denkmalseinweihung auf der Zitadelle von Namur zu bilden. Auch wenn die ein oder andere Zündkerze die Fahrt übelgenommen hat, wurden doch alle dadurch entschädigt, die Helden ihrer Jugend leibhaftig zu treffen, um Autogramme und gemeinsame Fotos zu ergattern. Dabei sind Bilder für die Ewigkeit entstanden, so etwas wird es sicher kein zweites Mal mehr geben.

Nach der Rückkehr standen profane Rennvorbereitungen auf dem Programm, in der Art und Weise des Veranstalters lief die gesamte Anmeldungsprozedur aber sehr leger ab. Transponder besorgen und Trainingschip in Empfang nehmen, das wars soweit. Technische Abnahme? Fehlanzeige, jeder ist selbst verantwortlich dafür. Training am Sonntag? Zwei Stunden lang darf jeder für 15 Minuten mal auf die Strecke, Klasse egal. Dementsprechend wurde auch der Samstagabend im deutschen Camp zu einer entspannten Angelegenheit, mit grillen und Bier bis in die frühen Morgenstunden. Da seit Samstagnachmittag die Strecke ordentlich gewässert wurde, war am Sonntagmorgen taktieren bei den alten Hasen angesagt. Nicht zu früh auf die Strecke, da zu rutschig, aber auch nicht zu spät, wenn Alle fahren wollen. Anfangs sah es so aus, als könnte die Taktik aufgehen, denn auch in der zweiten Trainingssession war es noch recht feucht und nur wenige wollten fahren. Bei der dritten Session war der Zulauf am Vorstart gewaltig, auch wenn nicht alle auf die Strecke gelassen wurden. Dennoch führte der frühe Übereifer einiger Piloten schon zu einem Abbruch nach zwei gefahrenen Runden und dem Einsatz des Krankenwagens. Es sollte nicht der letzte bleiben. In der Mittagspause wurde wiederum gewässert, aber auf eine Einführungsrunde verzichtet. Alles ganz leger eben. Nur hat keiner mit den jungen Wilden gerechnet, denn ausgerechnet die Klasse der unter 35-jährigen Piloten dufte als erste starten. Noch in der Anfahrt auf die erste Kurve gab es schon Kollisionen, einige weitere in den nächsten beiden Kurven, so dass auf dem Wiesenstück bis zur Einfahrt in das Wäldchen schon gelbe Flaggen geschwenkt wurden. Als die Spitze auf das Wiesenstück nach dem Waldstück kam, waren sofort weitere gelbe Flaggen zu sehen. Aus der ersten Runde kamen damit nicht die Schnellsten zurück, sondern solche, die im Sattel geblieben waren. Nach einer weiteren Rund- es sah so aus, als seien alle gelben Flaggen im Einsatz – wurde der Lauf gestoppt und annuliert. Auch hier mussten die Sanitäter wieder ran, diesmal mit zwei Fahrzeugen. Zum Glück gab es keine gravierenden Verletzungen, aber außergewöhnlich waren die zahlreichen Stürze schon. Das deutsche Team blieb hier verschont, da wir keine Fahrer in der Klasse am Start hatten. Die Strecke war an sich recht kurz (gut über eine Minute für die Schnellsten), hatte es aber doch in sich. Vom Startplatz weg ging es zunächst in großen Schleifen über ein Wiesenstück und anschließend in ein ständiges hoch und runter im Waldstück mit zum Teil recht steilen Auf- und Abfahrten, trocken und mit wenig Grip gesegnet, sowie engen Kurven, Wurzeln und im weiteren Tagesverlauf ausgefahrenen Spurrillen und Löchern auf der Ideallinie. Im Geiste der alten Strecke rund um die Zitadelle wurden auch Bäume als Fahrbahnteiler in den Steckenverlauf integriert. Nach dem Waldstück kam wiederum ein Wiesenstück mit zwei Geraden, wo auch das Rennen abgewunken wurde. Nicht nur war der Zieleinlauf damit weit vom Start entfernt, die Messschleife der Transponder lag wiederum noch nach der Stelle, an der abgewunken wurde. Wer direkt nach der Flagge auslaufen lies, konnte so noch einen Platz beim letzten Zweikampf einbüßen. Nach der Wiese kamen noch zwei Ab- und Auffahrten bevor dann der Startplatz wieder in einem langen Bogen angefahren wurde. Spannend wurde es jetzt für das deutsche Team mit den Rennen der Pre-Vintage, Vintage, Classic 1, Classic 2, Evolution und Open-Klasse, hier hatte der Reiseleiter mit Einsatz bis zur letzten Minute dafür gesorgt, dass genügend Top Ten-Fahrer für Deutschland am Gatter standen, um die Chancen auf den Nationensieg zu wahren. In der Pre-Vintage ging es schon ganz gut los mit Gesamtrang 2 durch Hubert Heck, Platz 11 für Peter Hentrich und Platz 12 für Mister Motocross Wolfgang Büttner. Unser Reiseleiter war hier auch selbst am Start und konnte den 18.Geamtrang verbuchen. Nahezu perfekt lief es dann in der Vintage-Klasse mit zwei Laufsiegen und damit dem Tagessieg durch Matthias Scheffel auf einer perfekt von Lutz Scheffel vorbereiteten CZ, gefolgt von Dennis Lenzner auf Rang 2 und Hennes Breitel auf Gesamtrang 4. In der Vintage-Klasse waren wir insgesamt mit den meisten Fahrern vertreten, neben den drei vorgenannten gingen noch Bernd Herrmann (11.), Heini Feller (12.), Gerhard Weidner(14.),  Jens Bierschenk (15.) und Lothar Edmunds (19.) für das Team Deutschland and den Start. Weiter gings dann in der Classic 1, wo Uli Körber auf seiner Kramer zwei vierte Plätze holte (Gesamtrang ebenfalls 4) gefolgt von Sidney Schmitt auf Gesamtrang 6. In den besten Rundzeiten lag Schmitt – ebenfalls auf Kramer LR 250 – noch vor Körber, konnte aber aufgrund von Trainingsrückstand das Tempo nicht halten. Sein Holeshot in Lauf 2 hätte ein besseres Ergebnis ermöglicht, da auf der kurzen und engen Strecke kaum Überholmöglichkeiten bestanden. In der Open hatten dann wir dann einen Fahrer, der das aber komplett widerlegen sollte. Aber zunächst weiter mit Classic 2. In den Starterlisten tauchte auch hier wieder unser Lefty auf, taktischerweise hat er sein Motorrad aber an Dennis Besser weitergegeben, der auch prompt den dritten Gesamtrang als bester Deutscher holte. Helge Mühlig trug den sechsten Platz und Gerhard Arnhold den achten Platz zur Tageswertung bei.

Kommen wir zur Evo-Klasse. Hier hatten wir mit Stefan Jöst einen Fahrer am Start, der in Deutschland in verschiedenen Twinshock-Serien regelmäßig Podiumsplätze holt. In Belgien war die Konkurrenz wie in allen Klassen sehr stark und so reichte es leider nur zu Gesamtrang 4. Sven Dietzmann kam auf Gesamtrang 8 ins Ziel und Shanna Eismar steuerte Platz 18 der Tageswertung bei. Showdown war dann angesagt in der finalen Open-Klasse. Hier hatten wir quasi unsere jungen Wilden am Start. Frank Jansen Teitz auf der von Hennes Breitel vorbereiteten Honda CR 250 und Dennis Besser auf seiner Kawasaki KX 500 hatten dabei anscheinend den Spaß ihre Lebens, sind sie doch nicht nur alte Kumpels, die sich lange nicht mehr gesehen hatten, sondern konnten auch beide Rennläufe an der Spitze mitgestalten. Teitz, der für den verletzten Tom Gross erst kurz vor der Veranstaltung eingesprungen war, holte dabei den Tagessieg für das Team Deutschland, Dennis Besser landete auf Gesamtrang drei, wobei er in Lauf 1 vom Fluch der Messschleife erwischt wurde (er lag beim Abwinken auf Rang 2) und in Lauf 2 ging ihm direkt beim Rennstart das Motorrad aus. Wer die 500er Zweitakter kennt, weiß, dass das normalerweise kein Spaß beim Ankicken ist. Wie durch ein Wunder kam die Kawa aber nach einem Tritt und Dennis nahm als letzter die Verfolgungsjagd auf. Wo er letztlich die Lücken zum Überholen auf der Strecke gefunden hat, weiß wohl nur er und der Motocross-Gott und so ging es noch auf Rang 3 vor. Komplettiert wurde die deutsche Teamleistung in der Open-Klasse von Martin Novella auf dem neunten Gesamtrang. Der arme Kerl hatte am Vortag Geburtstag und wurde bis frühmorgens hochleben lassen, sonst wäre vielleicht noch mehr gegangen. Immerhin durfte er den Samstag würdevoll mit Krone und Zepter und kühlem Bier verbringen. Hinter den Kulissen hatten wir noch viele helfende Hände, die zum Teamerfolg und der Stimmung im Fahrerlager beigetragen haben. Ohne die – mehrheitlich – Frauen würde einfach auch was fehlen beim Motocross und dem Drumherum. Aber nicht nur die Versorgung im Hintergrund ist hier ein Thema, jemand muss auch die Hände freihaben für die ganzen Fotos und Videos fürs Erinnerungsalbum, sonst glaubt einem das ja keiner, was für eine geile und definitiv legendäre Veranstaltung das war. Sogar Roger de Coster gab sich die Ehre und besuchte die Rennen Zum Abschluss nochmal vielen Dank and den ‚Reiseleiter‘ (Eigenbezeichnung) Andreas LEFTY Faber und Thierry Materne, für den Eigensinn und die Motivation an die fast unmögliche Möglichkeit zu glauben und es dann auch zum Leben zu erwecken!“

Bilder: Anderlitschka und Angela Schmid – Team Deutschland