Zum Valli Bergamasche Revival 2022 haben wir einen schönen Erlebnisbericht und auch Bilder von dem Enduro-Klassik Freund Sven Markurt erhalten. Er hat seine vielfältigen Eindrücke von diesem historischen Event in einem lesenswerten Beitrag zusammengefasst hat.  Es lohnt sich, sich dafür ein paar Augenblicke „Lesezeit“ zu nehmen. Also viel Spaß  bei dieser Lektüre.

Quo vadis Mythos des Geländsports? oder „Die spinnen die Römer“

Valli Bergamasche, was für ein Monument des Geländesports. Bei den Tifosi als „Mutter aller Geländefahrten“, nördlich der Alpen als „Enduro-Mekka“ verehrt. Die Region nordöstlich von Mailand ist nicht nur Heimat schier unzähliger prominenter Piloten und Hobbyfahrern, sondern auch zahlreicher Marken und Hersteller, die über Jahrzehnte die Szene stark beeinflussten. Vor allem aber Austragungsort unzähliger Wettbewerbe die über Jahrzehnte von italienischen und deutschen Fahrern geprägt wurde. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wurden die Siegerlisten dann zunächst von skandinavischen Champions geprägt, im letzten Jahrzehnt von einer mediterranen Mischung aus Franzosen, Italienern und Spaniern.

Seit 1986 gibt es das Revival, die Klassikveranstaltung, jetzt im Rhythmus von fünf Jahren ausgetragen. Zuletzt 2017. Davor 2012. Und schon damals berichtete Motociclismo, die große italienische Motorradzeitschrift, über eine kontroverse Debatte um Umweltzerstörung beim Valli Bergamasche, in der die Argumente der aktiven Sportler kein Gehör mehr fanden.

Seit diesem Frühjahr ist das Off Road-Fahren in Italien sogar gänzlich verboten!!! Und wird geahndet. Selbst Heinz Renken, der das Glück hatte, viele Jahre die Klassik-Meisterschaft Grupo Cique in Italien  fahren zu dürfen, und beim Valli Service für seinen italienischen Club machte, wurde unlängst angehalten und musste 100 „T“euronen zahlen.

Man konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das neue Verbot auch Einfluss auf die Streckenführung hatte. Ursprünglich sollte die Strecke über 30 Kilometer auf Asphalt nach Rovetta führen und dort zwei Geländerunden à 40 Km absolviert werden. Wären 140 Km. Wobei es nicht 30 sondern 40 Km von der Altstadt Bergamo bis Rovetta sind. Wie dem auch sei, wurde die Strecke kurzfristig geändert. Vielleicht wegen Genehmigungsproblemen? Schließlich ging es rund 25 Kilometer nach Selvino auf 1000 Meter Seehöhe. Von dort zwei Runden à 34 mit je zwei Sonderprüfungen. Eine davon am 1300 Meter hohen Monte Poieto, der seinen festen Platz in der Geschichte des Valli hat. Von den 34 Kilometern erneut 16 auf Asphalt, so dass nur 18 im Gelände stattfanden. Davon 5 Km auf Sonderprüfungen. Blieben also 2×13 Kilometer Gelände. Die hatten es aber durchaus in sich. Direkt nach der ZK plumpste man völlig unscheinbar in eine kernig geröllige Waldabfahrt, gefolgt von felsigen Singletrails, teilweise glitschig feucht. Hierbei erfuhr der Schalthebel von Johannes Bohl`s 175er KTM eine künstlerische Kaltverformung. Bei über 30 Grad im Schatten (auf 1000 Meter Höhe!) forderte die langwierige Notreparatur und anschließende Passage aus dem Bergwald ihren Tribut – der sympathische Würzburger brach entnervt ab und schonte sich und das Schätzchen. Ebenfalls Pech hatte der Nordbadener Martin Beetz, der zunächst mit Vergaserproblemen zu kämpfen hatte und dann nach einem Kräftemessen des Krümmers seiner Puch Frigerio mit besagten Felsen angesichts der daraus resultierenden, brachialen Lautstärke eine Weiterfahrt vermied. Sein Spezl, Bernd Bachert, Chef vom MSC Mauer, zirkelte seine 125er RS GS ohne Probleme über den Parcours. Waren 2017 noch deutsche Fahrer sehr zahlreich am Start, war es dieses Mal sehr übersichtlich – Keine drei Hände voll. Einige waren zum ersten Mal hier, einer bestritt sogar seinen allerersten Klassik-Auftritt: Ex-Simson-Werksfahrer Norbert Lichtenberg fand keine optimale Vergaserabstimmung für seine 125er Fantic, freute sich aber am Ende über einen 29. Platz im Gesamtklassement. Knappe zwei Zehntel hinter Altmeister Alessandro Gritti, der auf einer 160er Moto Morini sein letztes Rennen bestritt. Denn mit 75 ist beim italienischen Verband FMI Schluss. Ebenfalls Premiere in Bergamo feierte der „König der Wüste“ und für mich der beste Off Road-Fahrer schlechthin: Stephane Peterhansel. Dazu trat er stilgerecht auf einer 125er Fantic Brissoni-Replica an, die der Mechaniker des italienischen Altmeisters für ihn aufgebaut hat. Sein erfreulichstes Statement des Wochenendes aus italienischer Sicht: Peter kann nicht an den Six Days in Portugal teilnehmen, weil er mit Audi für Dakar feste üben muss. Hinter dem König der Wüste folgte der König und vierfache Gewinner des Gilles Lalay Classic, Cyril Esquirol, der immer noch so drahtig wie eh und je daherkommt. Für mich der eigentliche Champion des Wochenendes war jedoch Giovanni Gritti, Sohn vom Maestro, der die BMW auf den dritten Gesamtplatz wuchtete. Wie er auf dem engen, schräg am Hang, ideal für 80er und 125er gesteckten Cross-Test die „Kuh“ über die Piste trieb, hätte ich zu gerne gesehen.

Auf Platz fünf und sieben glänzten unsere Aushängeschilder Jens Oestreich und Johannes Steinel, beide auf Kramer 280. Die Damenklasse gewann die Frau von Peter, Andrea.

Insgesamt starteten 203 Lizenzfahrer plus 71 Fahrer in der sogenannten Gentlemenklasse, wo man auch ohne Lizenz einen Startplatz bekommt. Das Maximum von 350 Startern blieb unausgeschöpft.

Als junger Bursche bewunderte ich 1986 die Pellegrinellis dieser Welt bei den Six Days in San Pellegrino.

Einmal beim Valli Bergamsche starten. Ein Traum, der jetzt in Erfüllung ging. Hauptsache gesund ins Ziel kommen und eine gute Zeit haben, war mein Motto. Die freundliche, meist herzliche Atmosphäre unter den italienischen Fahrern begeistern mich. Viele grinsende Gesichter, viel Complimenti für andere. Lockere Abnahme ohne jeglichen Firlefanz. Highlight, Zweifels ohne das gemeinsame Abendessen in festlichem Ambiente über der Stadt. Einmalig. Fahrerkollege Marco hatte mich vorgewarnt, dass die Aktiven viele Geschenke beim Valli bekommen. Die XXL Bodenmatte ist klasse, Bremsenreiniger, ein halbes Pfund Kaffee und ein recht uninspiriertes T-Shirt in niederer Qualität erwecken dagegen keine Begeisterungsstürme. Mein Fazit: Sehr schöne Veranstaltung, hoher zeitlicher und finanzieller Aufwand. Kaum Zuschauer. Weder an den Prüfungen noch beim Start oder am Parc fermé. Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt, und war echt verdutzt. Dass man am Monte Poieto 150 Meter schieben und den bergab, ohne Motorkraft rollen musste, finde ich ok. Wenngleich es für mich ein Anzeichen einer defensiven, von Rückzug geprägte Situation symbolisiert. Wo vor 30 Jahren die Fans an der Sonderprüfung noch frenetisch die Fahrer anfeuerten, sitzen jetzt Familien beim Sonntagsausflug auf der Picknick-Decke und interessieren sich nicht die Bohne für die schönen alten Motorräder. 

Beim nächsten Mal würde ich mir deutlich mehr Gelände wünschen. Das dürfte jedoch wenig wahrscheinlich sein. Denn selbst in Italien weht den Geländesportlern jetzt dank des neuen in Rom verabschiedeten Gesetzes, ein eiskalter Wind ins Gesicht.  „Die spinnen die Römer“ und sorgen für ziemlich dunkle Wolken über dem Mekka des Endurosports.