Sommermärchen 2021

Rückblick – Sommer 2006: Vor 15 Jahren begeisterte eine herzhaft aufspielende Fußball-Mannschaft ganz Deutschland. Der Begriff vom Sommermärchen war geboren.

Kann man nach 25 Jahren Pause wieder am Geländesport teilnehmen? Mit angerosteten Knochen? Wie fährt man mit einem Schätzchen aus den 70ern und nur 220 mm Federweg über Stock und Stein? Das fragte ich mich seit über einem Jahr unfreiwilliger Corona-Quarantäne. Und erlebte jetzt mein persönliches Sommermärchen.

Sommer 2020: Corona hat die Welt im Griff.  An Geländesport ist nicht zu denken. Eine nach der anderen Veranstaltung wird aufgrund vielfältig verlangter Hygienekonzepte abgesagt. Ok, 2021 ist dann bestimmt der Spuk vorbei. Doch auch im Sommer 2021 verändert der Virus noch immer die Welt und natürlich auch unseren Sport. Nahezu alle im Frühjahr und Sommer geplanten Klassik Enduro Veranstaltungen in Deutschland werden erneut abgesagt. Lichtblicke ergeben sich erst wieder im Spätsommer und Herbst, doch da habe ich leider keine Zeit.

Doch ein Blick über die Grenze und durchweg begeisterte Kommentare zu den ersten 4 Ausgaben einer Klassik-Geländefahrt in Belgien bringen Licht in den dunklen Tunnel. In den Ardennen veranstaltet die „Königliche Vereinigung der Motorradfahrer der Region Ourthe Ambleve“ die fünfte Ausgabe des „Circuit des Crêtes“. Dazu 100jähriges Jubiläum. 1921 knatterten beim „Critérium des Crêtes“ zum ersten Mal Motorräder im Rahmen einer Zuverlässigkeitsfahrt durch die Ardennen. 1957 dann ein internationales Dreitage-Enduro als Vorbereitung für die Sechstagefahrt (Spindlermühle).

Beim Classic Event in Aywaille dürfen 180 Fahrer teilnehmen und ich kann zum Glück einen der letzten Startplätze ergattern. Teilnehmer erzählen mir im Vorfeld von einer schönen Veranstaltung mit viel Feldwegen und netten Abschnitten im Wald. Zwei Runden à 65 Kilometer. Hört sich nach gemächlichem Wochenendausflug an. Genau das Richtige für die erste Ausfahrt für mich mit dem alten Schätzchen. Anfahrt zum Schloss Harzé, wo das Fahrerlager mitten im Schlosspark beherbergt ist. Keine Schilder oder Pfeile, nix deutet auf eine Geländefahrt hin. Ich finde dennoch hin.  Kalkül oder Konzept, egal!  Es geht auch ohne viel Tamtam und vermeintlich perfekte Organisation. Gerade das macht den Charme der Veranstaltung aus. Alles easy und unaufgeregt. Von der Papierabnahme über die technische Abnahme. Die Ausgabe der Transponder regulieren Oma und ihre Enkel perfekt. Das wäre bei uns wohl undenkbar. Fahrerlager auf der Wiese im Schosspark unter alten Bäumen, Park fermé um den Springbrunnen. Eine schönere Kulisse kann man sich kaum vorstellen. Luxuscamping sozusagen. Clamping nennt man das jetzt, oder? Wer hier, wie einige schon am Donnerstag angereist sind und erst am Sonntag die Heimreise antraten, hatte einen perfekten Kurzurlaub. Dazu kam noch perfektes Wetter. Ein Wermutstropfen, die Ausschilderung der Strecke. Weit entfernt von perfekt. Abzweigungen konnte man leicht übersehen, Ankündigungspfeile fehlten häufig, Bestätigungspfeile fast völlig. Dazu drei verschiedene Farben. Das birgt Verwirrungspotenzial. Wozu drei Farben? Das habe ich persönlich nicht verstanden. Zumal es nur eine langsame offen einsehbare Passage gab, wo sich die Fahrer auf 50 Meter entgegenkamen. „Schnitzeljagd“ war der harmloseste Kommentar von einem Fahrer. Manche frotzelten, das sei Tradition beim „Circuit des Cretes“. Einige Teilnehmer waren ganz und gar nicht happy, manche auch ein wenig angesäuert. Uwe Hennig verfuhr sich mit seiner 125er SWM gleich zu Beginn gnadenlos und verlor unendlich Zeit. „Egal, wir sind doch hier um Spaß zu haben“, so sein Kommentar.

Er ließ sich die Freude an dieser tollen Klassik-Geländefahrt nicht nehmen. Denn man konnte jeden der 65 Kilometer richtig genießen. Viele tolle Auffahrten, zwei anspruchsvolle Abfahrten, schöne anspruchsvolle Trails im Wald, und auch immer wieder Panorama-Aussichten über die Landschaft. Das Team um Philippe Grégoire und Mark Reul hat mal wieder eine super Strecke zusammengestellt. Auf dutzende Helfer können sie dabei nicht zurückgreifen. Spätestens wenn zwei Pubertierende eine DK besetzen, weiß man, wie es um freiwillige Helfer im Endurosport stehen kann. Nicht geflickte Trassierbänder auf den Sonderprüfungen, bleiben dann natürlich auch nicht aus. Ärgerlich für die Fahrer die um Sekunden fahren und die so möglicherweise durch Ungereimtheiten um ihre Leistung gebracht werden. Can Am-Fahrer Ralf Nommensen strahlte im Ziel: „Hey nach einer halben Stunde dachte ich: Wow, was ist das denn? Die Auffahrt komplett im Naturfels war ja der Hammer!“ Matthias Weber auf der wunderbaren Kramer 410 schwärmte: „Das waren doch bestimmt 90 Prozent Gelände!“ 70, 80 oder 90 Prozent? In jedem Fall eine Geländestrecke wie man sie nicht so oft unter die Stollen bekommt. Zwei Sonderprüfungen, dazu ein gezeiteter Beschleunigungs- und Bremstest und üppige 20 Minuten an den Zeitkontrollen zum Durchschnaufen. Bei feuchtem Boden oder Regen wäre es für einen Wochenendfahrer wie mich wahrscheinlich zu schwer geworden, denn es kam völlig anders als die von mir eigentlich erwartete Feld- und Waldwegerallye. Eine herausragende Geländefahrt, die mich für eine Saison der Absagen mehr als entschädigt hat. Mein Sommermärchen 2021.

Ein Erlebnisbericht von „Enduroklassiker“ Sven Markurt

 

Und seine Maschine:

Eine 1978er SWM RS 250 GS. Wie fast alle in Deutschland über Heinz Renken ins Land geholt. Zunächst von einem Herrn Bauer in Bensheim eingesetzt, und anschließend von Hubert Stay renoviert und in schwarz-gelb lackiert,wie das Sondermodell des Australien Six Days Teams.  Im Rahmen der jetzigen Restaurierung wurde die SWM dann komplett gelb, wie das Sondermodell Eco, das 2 Jahre in Frankreich angeboten wurde. Die original gelben Kotflügel mit SWM Prägung vorn und hinten hat sie noch. Das famose Pernod-Team mit Gilles Lalay hatte seine Maschinen in gelb. Klar daß der französische Importeur sich mit SWM in den Farben des Nationalhelden Gilles Lalay bessere Verkaufszahlen erhoffte.